Der Versuch vom Besuch virtueller Museen in Zeiten der eingeschränkten Reisefreiheit.
Kunstsinnige erleben zur Zeit viele Entbehrungen – das Erlebnis, im Museum vor einem Meisterwerk zu verweilen und dabei zu träumen, Gänsehaut oder einfach nur gute Ablenkung zu erfahren, wird wohl nun für eine Weile nicht oder sehr eingeschränkt möglich sein. Vor allem dann, wenn dazu eine Reise erforderlich ist. Da ich zu jenen Menschen gehöre, die sich als Kunst-Junkies outen, suche ich nach Alternativen im digitalen Raum.
KU
NST
Deshalb habe ich mir die Frage gestellt, welche Museen die besten Ableger in verschiedenen Formen der virtuellen Realität haben und ob es virtuelle Kunstwerke gibt, die ohne Festivals zu besuchen, von überall zugänglich sind.
Museen in sozialen Medien
Viele Museen bieten jetzt besonders viel Content auf Social Media Plattformen an. Erwähnenswert ist z.B. die Aktion “Artworks at home” des Getty Museum. Die Studierenden meines Seminars an der Universität für Angewandte Kunst haben den Aufruf mit kurzen Stop Motion Videos kommentiert. Einen Museumsbesuch kann das freilich nicht ersetzen. Aber sind Videos nicht generell ein zeitgemäßer Ersatz für Kunst?
Virtueller Kunstgenuss mit Netflix und Co
Wie sieht es generell mit Film, als Kunst des 20. Jahrhunderts, aus? Alle reden jetzt vom Streaming Hype, aber Filme zuhause anzuschauen war für mich nur selten ein adäquates Erlebnis zum Kinobesuch – oder bestenfalls eine Ergänzung. Einen Film zuhause anzuschauen, finde ich vergleichbar mit der Erfahrung, ein Ölgemälde abgedruckt in einem Magazin zu betrachten – ganz nett halt. Das Kino ist mit all seinen technischen und sozialen Komponenten jener Ort, in dem sich Filme “richtig” anfühlen.
eh
ok
Wie kann ich ein virtuelles Museum besuchen?
Also schauen wir uns das Angebot in der virtuellen Realität etwas genauer an.
Hier werden auch verschiedenste Erlebnisse angeboten, die als “virtuell” angepriesen werden. Viele davon sind dabei für ein interaktives Erlebnis am Bildschirm ausgelegt. Es gibt aber auch überzeugende Lösungen für VR Devices. Da diese noch nicht in jedem Zuhause verfügbar sind, will ich auch interaktive Kunst-Experiences für Screens empfehlen.
360 Grad Touren im Vatikan Museum
Beginnen wir unsere Reise bei den Wurzeln der Kunstgeschichte – mit antiker und religiöser Kunst. Das Vatikan Museum in Rom bietet hochauflösende 360° Foto Touren durch das Museum an. Die Skulpturen des “Neuen Flügel” wirken ein bisschen wie ein aufwändiges 3D Setup, wobei die Stimmung aber nicht verloren geht. Die “Raphael Räume” mit ihren überladenen Wandbemalungen laden zur Kontemplation ein. Bei einem “jungen Römer” wie mir wird dabei aber auch ein ohnehin schon vorhandenes Fernweh verstärkt.
Die Sixtinische Kapelle in Virtual Reality
Niemand geringerer als “Epic Games” hat sich an der Virtualisierung eines Meisterwerkes von Michelangelo versucht. “IL DIVINO: Michelangelo’s Sistine Ceiling in VR” ist kostenlos auf Steam VR erhältlich. Die Kapelle wurde mit High End Fotogrammetrie digitalisiert. Als Nutzer kann man somit unbeeindruckt von Touristenmassen und unabhängig von den einschränkenden Qualitäten der Schwerkraft, durch den Raum schweben und sämtliche Details hautnah erleben und sogar vergrößert anschauen. Auch wenn die Auflösung mancher VR Devices noch nicht besonders hoch ist – insgesamt vermittelt diese App ein sinnliches Kunsterlebnis.
Übrigens hat Michelangelo die insgesamt um die 1000m2 umfassende Wandmalerei in nur 20 Monaten so gut wie alleine gemalt, weil seine Auftraggeber ihm nicht mehr Zeit dafür gaben. Ein Beispiel dafür, dass Deadlines sich durchaus positiv auf die Qualität auswirken können.
Die Sixtinische Kapelle in Rom in VR erleben.
Per 360° Video durch die Museen
Das Google Arts and Culture Programm hat einige sehr gut produzierte VR Video- Touren durch Museen hervorgebracht, zB
- eine animierte Tour durch Peter Bruegel’s “A Fall with the angel”
- Tour durch eine Ballet-Aufführung der Nationaloper von Paris
- Tour durch die Ummayyad Moschee in Damaskus
- Auch wie man im Weltall aufs Klo geht kann man erlernen.
Aber auch die Museen selbst waren nicht untätig auf diesem Gebiet:
Es gibt auch gute 360° Foto Touren, zB durch
Einige interaktive Browser-Touren zu Werken Museen kann ich sehr empfehlen. Diese vermitteln erstaunlich detailreich und kreativ Wissen über Kunst:
Das British Museum als interaktive Browser Experience
Die browserbasierte, interaktive Reise des British Museum durch Artefakte der Weltgeschichte sollte nicht nur Web-Designern eine Freude bereiten. Die Experience zeigt zeitliche und historische Verbindungen der Kunstwerke auf verspielte Art und Weise an, während man wirklich viele spannende Infos zum Repertoire des Museums erhält:
Das British Museum bietet aber auch 360° und Info Touren durch historische Orte in der ganzen Welt an.
Interaktive Reise durch das British Museum
Kann man in die Mona Lisa eintauchen?
Ja – und zwar mithilfe des breiten digitalen Angebots des Louvre. Die VR Experience “Mona Lisa – Beyond the Glass” hält in gewisser Weise auch wirklich, was sie verspricht – solange man von der Tatsache absehen kann, dass ein VR Device am Ende auch nur eine Glasscheibe vor den Augen ist.
Die Experience ermöglicht Einblicke in die Technik, den kunsthistorischen Kontext und in viele Details des Werkes. Nur der 3D Nachbau der Mona Lisa selbst muss aufgrund der bescheidenen Umsetzungsqualität etwas enttäuschen – sogar dann, als die berühmte Malerei beginnt, mit uns zu sprechen und uns mit dem Blick zu folgen, wenn wir uns bewegen.
Mona Lisa – Beyond the Glass
Wiener Kultur in VR
Während Zeiten verschärfter Quarantäne ist oft nicht mal eine Reise nach Wien möglich. Auch bleiben verschiedene Kulturinstitutionen wohl noch länger geschlossen.
Da kann ich natürlich die 360° Video Experience “Wiener Staatsoper VR – Beyond the Scenes” empfehlen, die Junge Römer in enger Zusammenarbeit mit dem Tänzer und Choreographen Eno Peci produziert hat. Der epische Soundtrack stammt übrigens von Siegfried Friedrich.
Aber ist nicht die Stadt Wien selbst auch eine Art von Museum? Die Wiener Urban Games-Szene hat der Corona Pandemie etwas entgegenzusetzen. In dem Web Game “A Monster A Day” kannst jetzt mit Hilfe von Google Street View in historischen Straßen der Stadt auf Monsterjagd gehen und dabei so einiges über die Geschichte Wiens lernen. City Games Vienna ergänzt das Spiel laufend mit neuen Monstern.
Virtuelle Kunstwerke im Cyberspace
Vielleicht ist die Suche nach einem Museum in VR aber gar nicht gerechtfertigt. Könnte nicht die virtuelle Realität selbst schon das Museum sein – und die Experiences die Kunstwerke? Was dann fehlen würde, wäre die ordnende und kuratorische Tätigkeit von Museen, die bestimmt wichtig ist. Aber wäre das nicht auch in VR möglich?
Hier einige Tips für virtuelle Kunstwerke, die via VR Device zugänglich sind:
ARTE betreibt einen kuratierten VR Schwerpunkt, der einige der besten virtuellen Kunstwerke versammelt.
Der 360° Video Dokumentarfilm “-22,7° The Far North Musical Experience” lässt mit überzeugenden Aufnahmen und einem super Soundtrack die knisternd-kalte Stimmung der Arktis nachempfinden.
“Ex Anima, la ronde des chevaux de Bartabas“ untersucht eines der bedeutendsten Symbole der Filmgeschichte mittels 360° Video Storytelling: Das Pferd. Visuelle Poesie geht eigentlich nicht viel besser.
360° Videos auf Youtube, wie die oben genannten, sind natürlich am Besten via Youtube VR in VR Devices zu genießen.
“Notes On Blindness” ist eine VR App in der man das akustische Erleben von blinden Menschen nachempfinden lernt. Empathie mit dem Anderen ist etwas, das VR sogar dann gut kann, wenn es um unsichtbare Dinge geht. Notes on Blindness ist eine ästhetische Erfahrung, die alle mal gemacht haben sollten.
Die Künstlerin Björk war eine der ersten, die sich mit VR intensiv beschäftigt hat. Ihre gesammelten VR Arbeiten gibt es in n ihrem VR Album “Vulnicura VR” über Steam zu sehen.
Graphic by Andrew Thomas Huang
Auch die Elektronik Gruppe Moderat hat mit dem 360° Video “Reminder” ein cooles Statement in VR gesetzt.
Das Kollektiv “Marshmallow Laser Feast” produziert zumindest innerhalb Europas die wohl beeindruckendsten VR Erlebnisse. In “Ocean of Air”, einer Installation die in London’s Saatchi Gallery zu sehen war, werden verschiedene Technologie miteinander verbunden: Heart Rate Monitors, VR, Sensor Body Tracking und mehr werden dazu eingesetzt, die Zuseher einer möglichst kompletten Immersion zu unterziehen. Wenn VR so richtig richtig gut sein soll, braucht es momentan noch mehr als einfach ein Device zuhause zu verwenden. Die KünstlerInnen von Marshmallow Laser Feast haben hier gezeigt, was alles möglich ist.
Für die kostengünstige VR Brille Oculus Quest gibt es z.B. das Art-Game “The Under”. Während man in die absolut schrägen Tiefen eines Theaters eintaucht, entdeckt man nach und nach, dass einige der Figuren, mit denen man interagiert, reale Schauspieler sind, die in Echtzeit mit dem User interagieren. Alleine der Umstand, dass da wirklich eine Reihe von Schauspielern (dauerhaft?) engagiert wurde, berechtigt das Spiel zum Tragen des Titels “VR Kunstwerk”.
Mit der virtuellen Design Software Quill stellen talentierte Designer dreidimensionale Skizzen und Animationen her. Die Software ermöglicht es dabei, in kurzer Zeit immersive Welten zu erzeugen. Quill Theater für Oculus Quest bietet einen Einblick in ausgewählte “Quillustrationen” von erfahrenen Artists.
Die Wiener Künstlerin Martina Menegon hat in der Social VR Umgebung “Mozilla Hubs” den Space “On The Other Hand” geschaffen. Riesige surreale Hände bilden einen Raum, in dem man dazu angehalten ist, sich mit Freunden zu treffen und damit zu interagieren. Auch ein Konzert fand in diesem Raum statt. Das Kollektiv “Hoops.net” plant, eine Reihe weiterer virtueller Events abzuhalten.
Momentaufnahme eines virtuellen Meetings in “On the other Hand”
Die Kuratorin und Digi-Kunst Expertin Eva Fischer von Soundframe lieferte mir ein fehlendes Glied in meiner Recherche: Artists VR unternimmt den Versuch, ein kuratiertes VR Museum abzubilden, das auch niederschwellig zugänglich ist und kein eigenes VR Device benötigt, weil es auch mit Cardboards und Smartphones funktioniert. Führende KünstlerInnen wie Peter Burr, Porpentine Charity Heartscape, Jeremy Couillard und andere laden zu ausschweifenden Phantasie-Reisen in den virtuellen Raum ein.
Eine vergleichbare, kuratierte Smartphone App gibt es von Acutart. Stars der Kunstszene, wie Ai Weiwei, Anish Kapor, Marina Abramovic stellen interaktive Werke bereit um dem Publikum einen niederschwelligen Zugang zu XR Kunst-Erfahrungen zu ermöglichen.
/////
Was sind deine Überlegungen zum Thema VR für Kunst und Museum?
Nimm gerne Kontakt mit mir auf – Ich freue mich über einen Erfahrungsaustausch.