Digitales Demonstrieren in Zeiten einer Pandemie. Ein Gedankenspiel.
FRÜHSOMMER 2020
Das massive Auftreten einer breiten Öffentlichkeit gegen Rassismus im Zuge weltweiter „Black Lives Matter“ Demos ist zu einem fixen Bestandteil des Alltags geworden – genauso wie die vielen, direkt mit der Corona-Krise in Verbindung stehenden Herausforderungen, die uns, der Menschheit, täglich aufs Neue reinscheißen.
Wenn sich sogar in Wien 50.000 Menschen finden, die bereit sind, den gesundheitlichen Risiken zum Trotz für eine wirklich wichtige Sache auf die Straße zu gehen, muss man nicht mehr darüber diskutieren, ob es besonders „gescheit“ ist, in Zeiten wie diesen großangelegte Demos durchzuführen – es muss und soll offensichtlich so sein. Punkt.
"SICHERE" Demos? - PFFF....
Worüber man aber sehr wohl nachdenken kann, ist, ob sich Demos in Zukunft irgendwie sicherer gestalten lassen – zumindest, was die Verbreitung bzw. Nicht-Verbreitung von Covid 19 angeht (denn wirklich „sicher“ darf eine Demo im Kern natürlich niemals sein, aber dazu später mehr). Darüber zerbrechen sich zurzeit natürlich viele Menschen sehr zurecht den Kopf, darunter auch unser Gesundheitsminister mit seinem Expertenrat. Und neuerdings auch ich. Mein (nicht in allen Aspekten ganz ernst gemeinter) Ansatz: Wir müssen einen Weg finden, vom mittlerweile ach so liebgewonnenen Home-Office aus zu demonstrieren.
Wir brauchen digitale Demos, die aber trotzdem etwas bewirken oder zumindest das Potential dazu haben.
Um hier entsprechende Ideen zu entwickeln, muss man sich zuerst genauer anschauen, was eine Ansammlung überwiegend gleichgesinnter Menschen unter freiem Himmel überhaupt erst zu einer „echten“ Demo macht. Ich gehe davon aus, dass zu dem Thema etliche schlaue Bücher, mehrere geniale Doktorarbeiten und mindestens drei fetzig geschnittene Dokuserien, die großteils aus Zeitlupenaufnahmen von Wasserwerfer-Einsätzen, unterlegt von Industrial-Sounds aus den späten Neunzigern, existieren, aber da ich gerade keine Lust habe, irgendwas zu recherchieren, müsst ihr hier mit meinen eigenen, durch und durch unvollständigen und vielleicht blöden Gedanken dazu vorlieb nehmen:
Sie findet mal auf jeden Fall im öffentlichen Raum statt. Mehr noch – wenn sich genug Menschen an einem Ort versammeln, wird der Ort für Demo-fremde Zwecke unbenutzbar. Das ist gut (für die Demonstrantinnen und deren Anliegen), denn das fällt natürlich auf, wenn ganze Straßenzüge gesperrt und großräumig umfahren werden müssen. Darum geht es ja in erster Linie – ums Auffallen. Es geht darum, eklatante Missstände seh- und hör- und vielleicht auch fühlbar zu machen, und unmissverständlich klar zu stellen, dass sehr viele Leute mit einer bestimmten Sache sehr unzufrieden sind und sehr dringend eine Änderung des Status Quo einfordern.
Ganz wichtig ist auch das Element der Bedrohung. Wenn die eine Demo konstituierende Menschenmasse keine reale Bedrohung für die etablierten Machtstrukturen darstellt, dann handelt es sich nicht um eine „echte“ Demo, dann hätte man sich auch im Fußballstadion oder am Frequency treffen können (wenn gerade nicht die Corona-Krise stattfindet), weil so nämlich keine Wirkung entsteht, die über gemeinsames Schunkeln und das Grölen von Refrains hinausgeht. Die Menschenmenge muss also eine kritische Masse erreichen, die eine glaubhafte Bedrohung projiziert – so etwas wie ein vages Versprechen, dass hinter dem friedlichen Protest noch mehr ist, dass da Potentiale lauern, die nur darauf warten, in Windeseile entfesselt zu werden, sollten sich die Obrigkeiten nicht als kooperativ erweisen. Eine Demo darf also nie und nimmer das Gefühl von Sicherheit ausstrahlen. Ganz im Gegenteil. Das Element der Bedrohung existiert im Übrigen auch für die einzelne Demonstrantin, die ja freiwillig das Haus verlässt, in dem Wissen, dass sie möglicherweise mit körperlichen Schäden, Freiheitsentzug, Anzeigen und weiteren Unannehmlichkeiten zu rechnen hat.
PROTEST THE FUCK AT HOME
Im Home-Office sieht die Welt natürlich ganz anders aus. Das Home-Office, die eigenen vier Wände, die virusfreie Echokammer, ist so etwas wie ein Watte-Tempel der persönlichen Sicherheit. Wie soll man von dort aus Bedrohung ausüben und gleichzeitig erfahren? Auf den ersten Blick erscheint es mir vollkommen unmöglich, die wichtigsten Aspekte des Demonstrierens in die digitale Welt zu transponieren.
Sollen wir zukünftig nur noch in den Sozialen Medien demonstrieren? Oder auf eigens für Demo-Zwecke errichteten Webseiten, auf denen dann Tausende von Avataren auf Pixel-Straßen stehen und Schilder schwenken, auf denen zornige Memes in Form von animierten Gifs zu sehen sind? Nett anzusehen wäre so etwas bestimmt. Richtig putzig. Dem Innenminister würden auf der Stelle die Tränen in die Augen schießen – weil er aus dem Lachen gar nicht mehr rauskäme. Also bitte: No way – so etwas hat mit Demonstrieren nichts zu tun und so etwas darf es bitte niemals geben.
Der Bedrohlichkeits-Faktor
So viel zum ersten Blick. Hier der (reichlich utopische) zweite: Wir (also eigentlich nur ich) haben festgestellt, dass ein gewisser Bedrohlichkeits-Faktor involviert sein muss, damit einer Demo die Chance zuteilwird, so etwas wie Wirkung zu zeigen. Weiters muss das Demo-Geschehen im öffentlichen Raum stattfinden, wo es von möglichst vielen Menschen rezipiert werden kann. Damit eine digitale Demo ähnliche Effekte wie eine „echte“ Demo herbeiführen kann, muss also der digitale öffentliche Raum gekapert, zweckentfremdet und eiskalt instrumentalisiert – eben entsprechend „bedroht“ – werden.
Vielleicht ließe sich digital demonstrieren, indem man die Rechenleistung seines Computers (bzw. Smartphone, Playstation, Kühlschrank – eben alles, was eine CPU hat und mit dem Internet verbunden ist) für die Dauer einer Demo zur Verfügung stellt, um damit entsprechend „bedrohliche“ Algorithmen bzw. Hacks zu ermöglichen, die in der Lage sind, große Teile der digitalen öffentlichen Infrastruktur einzuschränken. Schließlich ist es schon seit langer Zeit jedem CPU-Besitzer möglich, Rechenleistung diversen wissenschaftlichen Projekten zu widmen (eines von vielen aktuellen Beispielen: https://foldingathome.org/), also warum sollte dies – zumindest rein technisch betrachtet – nicht auch für die digitale Ausübung unseres Demonstrationsrechts anwendbar sein?
Black Lives Matter Protest in DC, 6/6/2020. (Instagram: @koshuphotography)
MAN KANN ALLES MÖGLICHE SPERREN. ES MUSS NICHT IMMER DIE Ringstraße SEIN.
Wenn wir als digitale DemonstrantInnen der Zukunft schon nicht den Verkehr in der Innenstadt lahmlegen können, wie wäre es dann z.B. mit Netflix? Man stelle sich vor: Herr und Frau Österreicher pflanzen sich abends vor die Couch, um sich ein paar wohlverdiente Folgen Tiger King reinzuziehen – bekommen aber stattdessen ein knackiges Filmchen serviert, das die Forderungen der Demonstrierenden eindringlich und leichtverständlich zusammenfasst. Im Dauerloop, solange die Demo eben „läuft“ – oder bis auf Netflix-Seite ein Weg gefunden wurde, dem Hack entgegen zu wirken. Das wäre doch ein schönes Pendant zur gesperrten Ringstraße. Und ohne jetzt eine Lanze für einschlägiges Cybercrime brechen zu wollen: Das Ganze ginge natürlich auch um ein Vielfaches schärfer, indem man sich bspw. die IT gewisser Ministerien und Ämter oder regierungsnaher Konzerne und Banken vorknöpft.
Um die Metapher zu perfektionieren, müsste sich die Bedrohung natürlich in beide Richtungen strecken. Durch ihre klar ersichtliche Beteiligung an einer digitalen Demo würden die Bürgerinnen und Bürger riskieren, dass jederzeit ihre Wohnungen gestürmt und sie verhaftet werden könnten (in diesen Zeiten der sozialen Distanz wird ja alles direkt an die Haustür geliefert – warum nicht auch Pfefferspray und Faustwatschen?!). Genau wie beim analogen Demonstrieren würde nur die Masse den Demonstrierenden hinreichend Schutz bieten können. Schließlich ist es tatsächlich vorstellbar, dass man der Symbolwirkung wegen ein paar Türen eintritt – bei 50.000 Wohnungen würden aber die Manpower und Tränengasvorräte der Republik vermutlich nicht ganz ausreichen.
Also kurz gesagt: Ich könnte mir vorstellen, dass die digitalen Demos der Zukunft in Form groß angelegter, punktueller, gegen ein autoritäres System gerichteter Hacks stattfinden, nicht von einer kleinen Gruppe ideologisch Getriebener ausgehend, sondern vom (ta-daa) VOLK. Und natürlich ist das alles ein total utopischer Unsinn. Aber nur solange, bis es existiert. In diesem Sinne: Lang lebe der Widerstand!