Digital Creative Talks #4 – Die menschlichen Sinne, virtuelle Realität und ihr Zusammenhang mit dem Konsumverhalten.

Lisa Muttenthaler (LM) im Gespräch mit Dr. Andreas Fraunberger (AF), Extended Reality Produzent bei Junge Römer zu Virtual Reality und Green Marketing. Dabei werden uA folgende Fragen besprochen: beeinflusst VR das Konsumverhalten? Beeinflusst VR Emotionen? Wie bleibt ein VR Erlebnis im Gedächtnis? Was muss man bei VR und Marketing beachten? VR für Sales von Luxusgütern und Konsumgüter. Des weiteren geht es um Einblicke in die Zukunft von VR.

LM: Die menschliche Wahrnehmung beruht auf den fünf Sinnen. Das heißt: je besser oder stärker diese Sinne angesprochen werden, desto wahrhaftiger oder realitätsnäher erscheinen uns Dinge. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Sinneswahrnehmung und Konsumverhalten?

AF: Sinne definieren unser Bewusstsein. Und unser Bewusstsein ist dafür verantwortlich, was wir gerne wollen. Wenn man die Welt als Wille und Vorstellung definiert, so wie es seit Schoppenhauer möglich ist, ist der Wille ein Produkt der Kultur und des Alltags. Und natürlich der Sinneswahrnehmung. Der Wille bestimmt auch das, was wir kaufen wollen.

VR ermöglich tatsächlich eine sehr intensive und starke Beeinflussung der Sinneswahrnehmung. Ob das ein Vorteil ist, ist eine Frage, deren Beantwortung vom Standpunkt abhängt. Es kann auch ein Nachteil sein. Als Beispiel nenne ich den sogenannten freien Willen, der die Grundlage des neoliberalen Weltbildes darstellt. Die fundamentale Grundannahme des neoliberalen Weltbildes ist, dass der Mensch über freie Sinnesentscheidung verfügt. Mittlerweile hat die Neurowissenschaft bereits bewiesen, dass das eine Fehlannahme ist. Die Basis der neoliberalen Grundannahme ist damit revidiert. Das Modell vom ultimativ frei agierenden Individuum beruht auf einer althergebrachten Tradition, die unsere Gesellschaft mit dem Neoliberalismus immer noch zu leben versucht. Nun, und wenn in diesem Kontext jemand, aus welchen Gründen auch immer, die Entscheidungen der Menschen zu steuern versucht, dann hat das eine disruptive Wirkung auf unser Zusammenleben, die es kritisch zu hinterfragen gilt.

LM: Sind Sie der Meinung, dass VR das Konsumverhalten beeinflussen kann?

AF: Ja, natürlich. Es gibt verschiedene Gründe, warum das so ist. Zum einen: Es ist möglich, in VR eine eigene Welt zu erzeugen, eine Fantasiewelt, und diese als eine sehr reale Geschichte zu inszenieren. Und sobald man eine Geschichte wirklich erlebt, entsteht im Gedächtnis ein Ort, wo diese Geschichte ihren Platz hat. Diese Geschichte sucht dann im Individuum nach einer Art Reproduktion der Erinnerung. Wer zB in Disneyland war, neigt dazu auch eine Stoff Mickey Mouse mitzunehmen… Und so ähnlich ist es in VR auch.

Es ist möglich, in VR eine eigene Welt zu erzeugen, eine Fantasiewelt, und diese als eine sehr reale Geschichte zu inszenieren..

LM: Studien zeigten, dass, je höher der Grad der Immersion, also wie realitätsnahe uns VR Umgebungen erscheinen, desto stärker werden die Emotionen aktiviert. Was meinen Sie dazu?

AF: Das ist ganz klar. Das Ziel von guten Geschichten ist natürlich emotionale Wirksamkeit. Und das Mittel dorthin ist die Umsetzung. Und das funktioniert über immersive Erzählqualitäten aller Art technischer Hilfsmittel, damit die Erzählung funktioniert. Am Ende erzeugt das Erzählen von guten Geschichten immer Emotion.

LM: Verstehe. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Emotion und Konsumverhalten?

AF: Ja, wenn die emotionale Wirkung eintritt. Wenn man eine Geschichte erfährt und diese dann ihren Ort im Gedächtnis zugewiesen bekommt. Und das passiert automatisch, wenn man eine schöne Geschichte erlebt – dann geht irgendwo im Gehirn ein kleiner Ort auf. Und der ist dann dort für immer – und das ist Emotion pur. Und auf Basis dieser Erlebnisse neigt der Mensch dazu, parallele Aktivitäten zu betreiben, die dazu führen sollen, diese Geschichte zu reproduzieren. Man will sich daran erinnern und mit anderen Leuten teilen. Und das kann auch Konsum sein.

LM: Und wie sehen Sie die Einsatzmöglichkeiten im Nachhaltigkeitsbereich?

AF: Ja, damit habe ich sehr viel Erfahrung. Wir haben beispielsweise mit UNHCR Projekte gemacht, in denen es um Vermittlung von Empathie ging. Mit Menschen, die von wo anders kommen. Ich weiß auch, dass Unternehmen wie Greenpeace sehr erfolgreich VR einsetzen. Greenpeace verwenden im Projekt übrigens auch einen positiven Erzählzugang und vermeiden dramatische Erlebnisse. Nach eigener Beobachtung weiß ich, wie gut das auch bei anderen Kunden performt hat und dass es gute KPIs gab. Und insofern kann ich allen entsprechenden Organisationen empfehlen, sowas zu machen.

LM: Studien zeigten, dass VR gut funktioniert, um eine KundInnenbeziehung nach dem tatsächlichen Kauf zu etablieren und zu stärken. Glauben Sie, dass deshalb ein Einsatz von VR nur am Ende der Customer Journey, also in der Nachverkaufs- und Kundenbindungsphase ratsam wäre? Warum?

AF: Bei internationalen Kunden, für die wir vor allem im Sales Bereich VR Experiences entwickeln, ist es ganz klar die Closing Phase mit Entscheidern, die relevant ist. Wenn Verkaufsberater zum Beispiel eine virtuelle Produktpräsentation in die Büros der EntscheiderInnen mitnehmen und diese dann in überzeugende, virtuelle Situationen hineinversetzen. Das bringt einen entscheidenden Unterschied mit Verkaufsqualität.

LM: Verstehe. Was würden Sie anraten, wenn ein Unternehmen überlegt, VR fürs Marketing einzusetzen? Was muss man bei Virtual Reality für Marketing beachten?

AF: Das ist eine sehr umfassende Frage. Am besten sollten sie darauf achten, sich gut beraten zu lassen. Das ist glaube ich das Wichtigste, weil es wirklich viele offene Fragen gibt, und das ist dann oft so, dass Expertinnen und Experten die Situation am besten einschätzen können.

 

LM: Viele sind heutzutage vegan oder kaufen Bio. Aber zum Beispiel in der Kleidungsindustrie denken die wenigsten dran, dass es auch da Handlungsbedarf gibt. Dass es eigentlich auch ein sehr kritischer Sektor ist. Ich sehe zum Beispiel die Chance von VR, grundsätzlich das Verständnis von Nachhaltigkeit näher zu bringen. Wie sehen Sie das?

AF: So grundsätzlich weiß ich nicht, ob ich das bestätigen kann. Denn es gibt ja jetzt schon Medien, mit denen man ganz gut Geschichten erzählen kann. VR ist ein neues Medium, mit dem man das auch machen kann. Vielleicht intensiver. Aber man muss darauf achten, dass es kein „Bedröseln“ und Belehren des Users ist, sondern dass gerade bei diesen Themen darauf geachtet wird, dass der Verstand der Nutzer und ihre Urteilsfähigkeit ernst genommen werden – dass auch ein aufgeklärter Zugang stattfindet.

LM: Verstehe. Nachhaltiger Konsum beruht immer auf Motiven. Und diese Motive beruhen auf Grundbedürfnissen. Dabei geht es beispielsweise darum, Kontrolle über die eigene Gesundheit zu übernehmen, informiert zu sein, Verantwortung zu übernehmen oder manchmal einfach nur darum, intelligent zu wirken und einen bestimmten Lifestyle zu pflegen. Wie könnte VR genau diese Motive ansprechen und beeinflussen?

AF: Ich denke ein wichtiger Punkt ist, dass VR einen in andere Orte und in Rollen anderer Menschen hineinversetzen kann. Der Überbegriff ist die Empathie. Wenn ich besser weiß, wie es Leuten geht, die in Kleidungsfabriken schuften. Wenn ich eine Abwasserleitung gesehen habe, von einem Industrieunternehmen am Jangtse-Fluss. Und das auf eine intensive Art und Weise, wo man nicht wegschauen kann: dann wird man sich das wahrscheinlich merken. Und möglicherweise wird man dann auch geneigt sein, zu versuchen, das Konsumverhalten entsprechend zu verändern.

LM: Dieses Jahr wurde eine Studie durchgeführt, in welcher die TeilnehmerInnen die eigene Wirksamkeit auf die Umwelt in einem interaktiven Computerspiel erfahren konnten. Das Ergebnis dieser Studie war, dass sich das Verhalten der SpielerInnen umweltfreundlicher veränderte, als wenn Leute einfach nur Informationen zur Umweltauswirkungen bekommen. Wie ist Ihre Meinung dazu, wenn sie dieses Ergebnis beachten? Birgt VR Möglichkeiten, das nachhaltige Konsumverhalten ebenfalls zu beeinflussen?

AF: Ja das ist ein gutes Beispiel für eine gut erzählte Geschichte, die immersiv und auch nachhaltig gedacht ist. Wo es nicht nur darum geht, dass man jemandem das Spiel vermittelt, dass es ganz dringend nötig, ist Produkt X zu kaufen. Sondern dass man den Fokus auf andere Dinge steuert. Das ist ein gutes Beispiel und ich könnte mir vorstellen, dass das so gut funktioniert.

LM: Eine Studie zeigte, dass der Einsatz von multisensorischem Marketing, also die Reizung der Sinne, die Ausgabebereitschaft für nachhaltige Produkte steigert. Da nachhaltige Produkte in der Regel mehr kosten als konventionelle, würde mich interessieren, wie sie das sehen? Welche Chancen birgt VR hier?

AF: Ja, genau wie vorher gesagt. Wenn es gut gemacht ist. Das sehe ich nicht nur als eine Meinung. Das ist eine klare Erfahrung, die ich auch mit den Services von Junge Römer machen konnte.

„Will ich die Außenwelt sehen, oder nicht sehen?“

LM: Verstehe. Wie sehen Sie die Zukunft von VR, gerade in der Markenkommunikation?

AF: Ich habe heute gerade gelesen, dass man vermutet, dass Oculus weltweit schon eine Million Quest Devices verkauft hat. Das ist weltweit gesehen zwar nicht so viel, aber wenn das relativ schnell weitergeht, dass die Hersteller ihre Produkte auch wirklich breit verkaufen, dann sind die Dinge halt mal da. Das Wissen über VR wird stärker und langsam werden Zahlen erreicht, die für typische Marketingstrategien relevanter sind.

LM: Einfach, weil auch immer mehr Leute eine VR Brille zu Hause haben werden?

AF: Ja. Und dann gibt es noch AR. Das ist eine parallele Entwicklung. Und es ist ja so, dass die Technologie dieselbe ist. Vom Content her. Das heißt, dass ich zum Beispiel hier den Hintergrund ändern kann. VR blendet das Rundherum aus und bei AR braucht man „nur die Klappen aufmachen“, der Content bleibt im Wesentlichen der gleiche. Im Grunde ist es dieselbe Technologie und darum die Parallelentwicklung. Ein richtig intensiv immersives AR Erlebnis, auf dem Niveau eines „Holodecks“, wie man es aus Star Trek kennt, ist aber technisch noch ziemlich weit entfernt. Bis dahin wird VR Avantgarde sein, was Immersion betrifft. Und irgendwann wird AR das übernehmen. Das wird meiner Ansicht nach aber wahrscheinlich noch 5-10 Jahre dauern. Und dann wird man die Klappe immer auf und zu machen können. „Will ich die Außenwelt sehen, oder nicht sehen?“ Diese Frage wird man dann per Knopfdruck entscheiden können.

Lisa Muttenthaler ist Studierende an der Austrian Marketing University of Applied Sciences, Studienzweig Green Marketing.

Dr. Andreas Fraunberger ist Managing Director und Creative Producer bei Junge Römer – Creative Production Studio und Lektor an der Universität für angewandte Kunst Wien.

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Andreas Fraunberger

Andreas Fraunberger

Produzent für Extended Realities. Managing Partner bei Junge Römer. Doktor der Philosophie und Univerisitätslektor. Lieblingstänze: Afro-Haitian Dance, Tango, ChaChaCha, Contact Improvisation. Here are Andreas’ 13 Favorite Problems!
Andreas Fraunberger

Andreas Fraunberger

Produzent für Extended Realities. Managing Partner bei Junge Römer. Doktor der Philosophie und Univerisitätslektor. Lieblingstänze: Afro-Haitian Dance, Tango, ChaChaCha, Contact Improvisation. Here are Andreas’ 13 Favorite Problems!