Digital Creative Talks #1 – Eva Fischer: Digitale Kultur und Unternehmen

Ein Gespräch zwischen Eva Fischer, Kuratorin und Kennerin digitaler Kunst und Andreas Fraunberger, über Digitalisierung in Kunst und Kultur und darüber was das mit digitaler Unternehmenskultur zu tun hat. Eva verrät uns spannende Ansätze, wie Kunst und Unternehmertum v.a. in den Bereichen Innovation, Digitalisierung und Organisation voneinander lernen können. Wer sich schon gefragt hat, wie man Kreativität im Kontext der Digitalisierungs-Welle die wir seit Corona erleben organisieren kann, der/dem sei eine Lektüre des Gespräches empfohlen. Weitere Themen sind Formen von Kollaboration und Kooperation, Virtual Reality (VR), die Virtualisierung, das Post-Digitale, und natürlich: Hip Hop 🙂

Foto: Lukas Maul

A.F.: Eva, du bist Mitgründerin und Leiterin der Digitalkunst-Plattform sound:frame Immersive und Mitglied von XR Vienna. Im Rahmen deiner Lehrtätigkeit an verschiedenen Hochschulen organisierst du Konferenzen und Events zum Thema Kunst und Digitalisierung und du warst als Produktionsleiterin der Diagonale Graz tätig und hast dort die Virtual Reality Reihe aufgebaut. Das Filmfestival konnte heuer ja leider nicht stattfinden…

E: Ja, genauso ist es. Bei der Diagonale war ich 3 Jahre Produktionsleiterin und hatte dann heuer die Nightline vorbereitet. So schade, dass daraus nichts geworden ist. Die Diagonale war das erste große Festival das dem Lockdown zum Opfer gefallen ist, was wirklich höchst dramatisch und traurig war! Ich hoffe sehr für die Diagonale, dass sie nächstes Jahr – allerspätestens übernächstes Jahr wieder in gewohnter Form ausführbar ist.

A: Was war in deiner Kindheit oder in deiner Jugend dein Berufstraum und hat dieser dir eventuell dabei geholfen, dorthin zu kommen wo du jetzt bist?

E: *lacht* Puh! Gute Frage! Haha, aber wenn du so fragst, denke ich wirklich, dass ich da wohl schon mit 15 meinen Weg vorbereitet habe, als ich meine erste Hiphop-Party veranstaltet habe. Ich hab mich damals sehr viel mit Graffiti und Sketches-Zeichnen beschäftigt und war insgesamt sehr an „Hiphop-Kultur“ interessiert, an Musik sowieso – ich habe zum Beispiel über französischen Hiphop maturiert.

Was mir am Hiphop immer besonders gefallen hat, war das Interdisziplinäre.

Also haben wir im Freundeskreis einen Hiphop-Jam veranstaltet – so mit selbst Flyer machen, mit einer Crew von Leuten und DJs und Writern und so! Wir haben uns in einem unserer Stammbeisln mit dem Chef zusammengetan, dem es offensichtlich gefallen hat, dass da eine Gruppe seiner Gäste motiviert ist, noch ein paar mehr Stammgäste zu bringen *grinst* Wir waren einfach unfassbar motiviert, Hip Hop unter die Leute zu bringen! Und es war super! Ich wollte also offenbar immer schon Parties veranstalten. *lacht*

A: Hiphop ist ja eine Kunstform, die aus einem eher prekären gesellschaftlichen Rahmen kommt – anders als die weißen Boybands, die oft aus „gutem Hause“ kommen. Und da war Vernetzung immer schon sehr wichtig. Die Themen Kooperation und Kollaboration sind im Hiphop riesig. An den meisten Rap-Alben arbeiten eine Menge von Künstlern zusammen. Ist das auch ein Thema, das du mitgenommen hast?

E: Ja, definitiv. 2006/2007 haben Romana Kleewein und ich sound:frame ins Leben gerufen und hatten da gleich eine ziemlich große Community im Rücken. Romana war Tontechnikerin, Medientechnikern und ich hatte mich schon im Studium mit VJing und Visualisierung von Musik auseinandergesetzt. In unseren ersten Wochen in Wien haben wir uns beide bei play.FM beworben und hatten damit ein großartiges Kollektiv gefunden – das play.FM Studio im Museumsquartier war wie unser zweites Wohnzimmer. Zu der Zeit waren vor allem Techno und House groß. Wir hatten 2010 zum Beispiel eine riesige Premiere im Fluc mit Paul Kalkbrenner, noch bevor er dann so steil gegangen ist. Das war dieser Berliner Sound – irgendwie wollten wir alle wie Berlin sein. 2010/2011 so um den Dreh herum kam dann aber wieder ein bisschen Bewegung in die Soundlandschaft und ich kann mich zum Beispiel sehr, sehr gut an den ersten Gig von Dorian Concept im Planetarium erinnern. Ich war hin und weg und komplett begeistert von dem Sound, der eben sehr viel vom Hiphop wieder reinholt und vom Jazz, der Elektronik. Da ist plötzlich so viel Neues entstanden – auch rund um Labels wie Affine Records, Ninja Tunes, Brainfeeder, lucky me und vielen mehr.

A: Seit Corona ist vieles in der Arbeits- und Kulturwelt prekärer geworden. Ich halte es für einen spannenden Ansatz sich auf eine der wesentlichsten Methoden des Hiphop zu beziehen: Kollaboration. Das ist etwas, das du seit Anfang an mit deiner Arbeit verbindest, oder? Ich glaube fast alles was du machst hat in irgendeiner Form mit Kollaboration, Kooperation, und Zusammenarbeit zu tun, richtig?

E: Ja, absolut. Wir haben beim Festival sogar einmal ein Jahr dem Thema „Collective“ gewidmet, ich glaube 2013. Das war eines der tollsten Jahre muss ich sagen. Ich hatte Depart – Kollegen von uns beiden, von denen ich Fan der ersten Stunde bin – dazu eingeladen, federführend eine Ausstellung im MAK zu dem Thema “Kollektiv” zu gestalten. Mit der Auflage, ein diverses Kollektiv zu bilden. Das spannende ist, dass sich aus dieser Idee tatsächlich ganz organisch ein Kollektiv aus 40 Leuten entwickelt hat, um gemeinsam an dieser Ausstellung zu arbeiten. Das war nicht nur inhaltlich und künstlerisch spannend, sondern trifft auch auf einer strukturellen Ebene genau den Punkt, den du gerade ansprichst. Wir haben uns in dem Prozess, in dem die Ausstellung entstanden ist, vor allem Teamstrukturen oder die Bedeutung von Hierarchie angeschaut und diese in der Ausstellung wiederum sichtbar gemacht.

In dem Research sind wir unter anderem draufgekommen, dass es eine Team-Hierarchie gibt und auch braucht, dass diese aber keineswegs eine klassische Pyramidenform annehmen kann – also keine Spitze, wo da irgendwo oben ‚on top‘ eine oder zwei Personen stehen, die ansagen! Vielmehr ist dabei das Bild einer Krone entstanden, die für die unterschiedlichen Genres oder unterschiedlichen Expertisen innerhalb eines Teams steht. In so einem Kollektiv gibt es natürlich Leute, die bestimmte Themen antreiben oder die größte Expertise haben und darunter baut sich die Community, also das Kollektiv auf. 

Das fand ich ein super Bild, das mich seither beschäftigt. Jetzt, wo es das Festival seit ein paar Jahren nicht mehr gibt, und ich dadurch auch mein Team irgendwie hab aufgeben müssen, komme ich auch wieder immer mehr drauf, wie schade das eigentlich ist und wie gern ich wieder MEIN Team hätte, mit dem ich tagtäglich zusammenarbeiten kann. Naja, das kommt wieder!

 A: Was würdest du Teams, kreativen Organisationen oder Leuten die sich mit Leadership beschäftigen in der momentanen Situation mit Corona empfehlen? Welche Form kann Unternehmen jetzt wirtschaftlich durchhalten lassen oder voranbringen? Ein Kernteam und Kollaborationen mit “kronenhafter” Verflechtung?

E: Ja, das würde ich so sagen.

A: Das ist auch ganz was anderes als das typische Nachkriegsmodell. Da ist es ja darum gegangen, dass jemand eine tolle Idee hatte, zum Beispiel für die Herstellung einer speziellen Türschnalle und die Idee ließ sich dann in der Form skalieren, dass die Abwicklung von oben nach unten hin organisiert wurde. Da hatten wir „Super-Abteilungsleiter“, Abteilungsleiter, die Arbeiter und das Reinigungspersonal – das war also eine Pyramide, top down.

Meiner Beobachtung nach ist die Top-Down Hierarchie jetzt mit Corona endgültig gestorben. Unternehmen die so organisiert sind, werden es schwer haben zu bestehen. Das neue Modell ist umgekehrt. Unternehmen sollen Purpose-Driven sein und von Sinn angetrieben, sodass die Leute, die „unten“ sind die Ideen nach oben „tragen“ und so die Organisationen zum Fliegen bringen. Das könnte auch eine Kronenform beinhalten: wichtige Dinge passieren auch „oben“ aber nicht mehr an einem Punkt sondern an ganz vielen Punkten und mit gegenseitiger Beeinflussung.

Da sind andere Perspektiven gefragt als bloß Gewinnabsicht. Es braucht viel mehr Dinge, die Zweck und Sinn vermitteln damit das soziale Konstrukt fliegen kann. Ich bin der Ansicht, dass Kunst und Kultur als Nachfolger der Religionen an deren Stelle getreten sind was die sinngebende Dimension in einer Gesellschaft betrifft.. und wenn alles digital wird dann ist es noch viel wichtiger, diese Sinndimension im Auge zu behalten. Sonst besteht Gefahr, dass man sich nur in Zahlen und Rationalismus verliert und das bringt dann wahrscheinlich niemanden weiter. Wie siehst du die Rolle der Kultur im digitalen Kontext?

E: Ja, ich sehe die Rolle der Kultur – und da bleibe ich eigentlich bei der Krone – als einen wichtigen Zacken oder eine wichtige Säule in einer Gesamtheit, die uns dabei hilft, uns nach vorne zu bewegen. Ich befürchte, dass Kunst und Kultur allein durch ihren aktuellen Stellenwert wahrscheinlich nicht viel ausrichten werden, aber sie stellen meiner Meinung nach gemeinsam mit anderen Disziplinen eine unglaublich wichtige Säule dar und müssen gehört werden! Müssen jedoch selbst auch hören, was die Wirtschaft sagt, was die Wissenschaft sagt, was die Politik sagt, Vice versa sozusagen. Ich glaube, das ist eine große Herausforderung, aber dieses interdisziplinäre Denken tritt wieder viel mehr oder muss mehr in den Vordergrund treten. Mit Schubladendenken „kasteln“ wir uns alles ein. Auch in der Kunst: ein Einteilen in Disziplinen, das ist bildende Kunst, das ist Bildhauerei, das sind alte, das sind neue Medien  – das funktioniert längst nicht mehr und wird in Zukunft definitiv nicht funktionieren. Langsam merkt man auch, wie des alles so ein wenig aufbricht. Förderstrukturen beispielsweise! *lacht* Wie oft sitzt man da zwischen den Stühlen und passt in kein Programm so richtig hinein. Doch da gibt es mittlerweile  – sowieso gute Programme im Bereich der Kreativwirtschaft, also zB der “Digitale Realitäten Call” der Wirtschaftsagentur und auch – im Kunstbereich neue Formate wie beispielsweise “Pixel Bytes und Film” (BKA), das aus dem Filmdepartement heraus ganz gezielt das Interdisziplinäre fördert und sichtbar machen will. Von derartigen Projekten bräuchten wir noch viel mehr!

A: Das Interdisziplinäre ist etwas, das du immer schon vorangetrieben hast, wie du am Anfang schon erklärt hast. In der Kunst und in der Kultur haben wir mit der Corona-Krise ein wirkliches Problem: Kunst und Kultur werden sozusagen wegrationalisiert. Die Theater, die Museen, die Clubs, die Kleinkunst sind zu oder bleiben stark eingeschränkt während die Shops geöffnet werden. Wenn Kultur eine Art Kitt sein soll, der die Gesellschaft zusammenhält, ein Sinngeber, ein Ideengeber, ein Inputgeber auch für die Wirtschaft, dann fehlt das jetzt alles. Glaubst du, dass digitale Kanäle geeignet sein können das irgendwie zu ersetzen oder zumindest bis zu einem gewissen Grad auch neue sinngebende Inputs zu liefern für eine Gesellschaft?

E: Ja, da ich natürlich aus diesem Bereich komme, bin ich davon überzeugt, absolut. Mir ist zwar schon auch bewusst, dass wir jetzt gerade mit digitaler Kunst noch nicht jeden erreicht haben, aber das liegt auch an den Strukturen. Wenn es immer darum geht, etwas zu erhalten – was absolut legitim ist – aber wenn man sozusagen nur dahin schaut, ist das zu wenig…  Ich finde es ja symptomatisch, dass es in Wien beispielsweise eigentlich keine Institution für digitale Kunst gibt! Ich wüsste nicht wo. Es sind natürlich ein paar Museen schon damit vertraut, aber ich rede jetzt wirklich von digitaler Kunst, von virtueller Kunst, von zeitgenössischen Auseinandersetzungen. Denn die würden uns jetzt gerade helfen in Zeiten von Corona. Das HEK in Basel*, das Haus der elektronischen Künste ist ein tolles Beispiel für ein Haus, das einen zeitgemäßen Diskurs in diesem Bereich ermöglicht.

A: Man kann es ein bisschen vergleichen mit der Bildungsszene, also mit der Digitalisierung der Bildung. In Finnland und in Schweden wurden beispielsweise die Digitalisierung der Schule und das digitale Schulheft schon vor Jahren durchgesetzt und dort gibt es jetzt etablierte Verfahren, die es ermöglichen, dass alles super weiterläuft. Bei uns ist das in manchen Schulen eine Katastrophe – da gibt es keinen Kontakt zu den Lehrenden. Die Digitalisierung steckt noch sehr in den Kinderschuhen. Hätte man das schon vorher gemacht wäre da natürlich jetzt viel mehr möglich. Und dasselbe gilt auch für die Kultur. Hätte man hier bei digitaler Kunst schon sich entsprechend vorbereitet, die Digitalisierung nicht nur Google und Co und der Unternehmensförderung überlassen, sondern hätte man das auch in der Kultur ermöglicht, dann hätte vielleicht auch die Gesellschaft  jetzt mehr von diesem notwendigen Kitt, dieser sinngebenden Instanz, die die Kultur leisten kann, zur Verfügung.

E: Absolut, ja. Wir beide haben uns ja vor ein paar Tagen in Martina Menegons Raum in Mozilla Hub getroffen, wo man meiner Meinung nach sehr gut sehen kann, was schon alles möglich ist. Martina hat mich auf diese Hub-Tour aufmerksam gemacht, bei der ihr eigener Mozilla Space selbst Teil war. Dieses gemeinsam durch unterschiedliche Mozilla Kunstspaces hüpfen war großartig, oder? Endlich beamen!! Haha! Ich finde ja immer, wenn man das jemandem erzählt der sowas noch nicht miterlebt hat, dann klingt das zuerst einmal total komisch… Aber wenn man das wirklich einmal selbst angeschaut hat, wird klar, wie unfassbar gut das eigentlich funktioniert und welche Räume da schon entstanden sind. Vor allem auch, wie gut Kommunikation in einer größeren Gruppe funktioniert und wie sehr dort ein Communitygefühl entstehen kann – was auf Zoom so eher nicht stattfindet. Von diesen Möglichkeiten wissen viele aber einfach noch gar nichts und das ist ja, was du gerade ansprichst: Wenn man in den vergangenen Jahren der digitalen Kunst oder dem Gaming ein bisschen mehr Gehör geschenkt hätte, dann wären diese Möglichkeiten schon viel mehr bekannt und man hätte sie während des Lockdowns wunderbar gebrauchen können.

A: Kinder und Jugendliche machen das ganz reflexiv, wenn die jetzt in Quarantäne waren oder immer noch sind zum Teil, die haben sich sofort auf Roblox, Minecraft, Fortnite und Co. gestürzt und sich da sozial zumindest ein bisschen wiedergefunden. 

E: Natürlich ist es besser vor einer Klasse oder vor einer Gruppe zu stehen und direktes Feedback von allen anderen zu kriegen, das find ich ganz wichtig. Aber ich könnte mir z.B. auch gut vorstellen, dass Unterricht mit einer Gruppe von 15, 20 Leuten in so einem Mozilla Hubs Space super funktionieren würde, weil man irrsinnig schnell Links und unterschiedlichen Content sichtbar machen, ihn gemeinsam bearbeiten, gemeinsam Sachen ausprobieren und darüber diskutieren kann. 

 A: Ja, davon bin ich überzeugt.

E: Interaktive Schnittstellen gibt es schon für alle möglichen Laborsituationen, für Physikunterricht, Medizin und so weiter. Ich glaub, dass das Kindern Spaß machen würde in der – wenn auch virtuellen – Praxis etwas über Dinge zu erfahren. Also man wird schon dahinter kommen! Aber eh wie du sagst, es dauert gerade in Österreich sehr lange. Und da das alles eigentlich nie wirklich Thema war, ist halt die Infrastruktur noch nicht da geschweige denn erprobt – obwohl es sie gäbe.

A: Vielleicht sollten wir da auch Vorbild sein und unser nächstes Gespräch gleich in einem virtuellen Raum machen! *grinst*

E: Du wirst es nicht glauben – ich habe letzte Woche selbst einen Mozilla Hub Space gebaut – mit wunderbarer Anleitung von Martina Menegon! 

A: Ja super, gute Idee!

E: Ich bin ja selbst jetzt keine Coderin oder so, aber ich musste einfach selbst mal testen, wie das funktioniert und Mozilla Hubs ist sehr intuitiv und wirklich easy. Ich hab innerhalb von wenigen Stunden so eine kleine – viel zu bunte – virtuelle Welt gebastelt, in der man sich treffen kann. Also jederzeit, hehe!! Es macht wirklich Spaß! 

A: Eva, Unternehmenskultur kann viel lernen von echter Kultur also von der klassischen Kultur, die unsere Geschichte hervorgebracht hat und jetzt brauchen Organisationen Kreativität und die Frage ist: Glaubst du, dass Organisationen etwas von der Kunstszene lernen können?

E: Ja, das denke ich auf jeden Fall. Gerade wenn es auch darum geht, gemeinsame Konzepte zu entwickeln. Im künstlerischen Prozess hat man täglich damit zu tun, einfach auch mal ein bisschen verrückt zu denken im Sinne dessen, ein Ziel erreichen zu wollen, das auf den ersten Blick vielleicht unerreichbar anmutet aber dann Wege zu finden, um doch hinzukommen. Das ist sicher ein Ansatz, der ganz vielen Prozessen gut tun würde – also im Team Ideen zu entwickeln und durch Erproben am Ende auf eine gemeinsame Realität herunterbrechen zu können. 

A: Stimmt! Zusammenarbeiten, die Dinge gemeinsam entwickeln und da auch gemeinsam Dinge loslassen können. Der künstlerische Prozess besteht ja zu einem sehr großen Teil auch aus Loslassen-Können. Das kann bedeuten, dass man einen ganzen Tag lang eine Skizze macht – das ist viel Arbeit –  und am Ende des Tages muss man sich davon wieder trennen und einen anderen Weg einschlagen. In einer Kultur des Überangebotes ist es gerade für Organisationen absolut wichtig, eingespielte Strukturen sukzessive zu hinterfragen und falsche Bräuche, „Habits“ oder alte Ideen, die halt nicht gut genug sind oder nicht mehr funktionieren, loszulassen! 

E: Absolut, ja. Was mich sehr anspricht, auch am Künstlerischen, Kreativen ist – von der Idee her – grundlegend nicht von Zahlen getrieben zu sein. Also natürlich kann man immer alles skalieren und natürlich denken wir auch in Businessmodells, weil es gar nicht anders geht. Aber was mich anspricht ist, sich aus unterschiedlichen Disziplinen das zu holen, was diese am besten können, und dadurch auch selbst zu profitieren. Dieses Blicken in andere Disziplinen ist im Artistic Research beispielsweise so interessant: Was sagt die Naturwissenschaft zu diesem Aspekt, welche Fragen stellt die Soziologie? Wie würde ein*e Mathematiker*in dieses Problem lösen? Bzw. umgekehrt – wenn ich zum Beispiel eine KI trainiere, dann geht es nicht nur darum, dass ich das mathematisch schönste Modell finde und die Daten mit den logischsten oder gewinnbringendsten Parametern auswerte, sondern dann muss in dem Prozess immer auch eine ethische oder “menschgetriebene” Ebene mitschwingen. Dann denke ich nicht als erstes darüber nach, wieviel Geld ich verdienen könnte, sondern welchen Wert die Daten, mit denen ich arbeite, eigentlich haben und welche Verantwortung ich auch übernehme. Derartige Fragen  finde ich gerade aktuell sehr wichtig… Das ist ein sehr, sehr umfassendes Thema – „Datafication“, Datenkapitalismus… 

A: Ja, stimmt, es ist von großer Bedeutung da drauf Acht zu geben. Im Jänner 2020 hast du eine Konferenz organisiert „Navigieren im Post-Digitalen“ und viele Inhalte der Konferenz waren für mich im Lockdown und danach wirklich eine spannende Orientierung und Navigationshilfe. Das große Thema unserer Zeit ist jetzt Digitalisierung und seit Corona noch viel mehr. Warum hat sich die Konferenz dem Postdigitalen gewidmet? Sind wir jetzt schon so digital, dass man einen neuen Zugang braucht?

E: Würde ich schon sagen! *lacht* Der Begriff des Postdigitalen ist auch bei der Konferenz auseinander genommen und diskutiert worden. Wir haben uns aber schon ganz dezidiert dafür entschieden. Ich persönlich find ihn deshalb interessant, weil er ja nichts anderes bedeutet, als dass wir das Digitale mittlerweile in allen Bereichen haben. Beispielsweise müssten wir gar nicht mehr von dem Genre digitaler Kunst sprechen, weil mittlerweile ohnehin alles digital beeinflusst ist. Selbst, wenn es an sich nicht dezidiert digital ist, wird es wahrscheinlich mit digitalen Mitteln produziert worden sein. Ich habe da gern auch Peter Weibel zitiert, der mit der Theorie der postmedialen Kondition schon in eine ähnliche Kerbe geschlagen hat… Das hat mich damals schon, noch als Kunstgeschichtestudentin in Graz angesprochen: Die These des Postmedialen, bei der es darum geht, dass in einer ersten Phase einmal die klassischen Medien wie Bildhauerei, Architektur, Bildende Kunst,  von den sog. „neuen Medien“ Fotografie, Video,.. ergänzt werden und diese denselben Stellenwert bekommen. In der zweiten Phase geht es dann aber darum, dass anstelle eines Linearen  – also zuerst kommen die klassischen und darauf folgen die neuen Medien – plötzlich ein wechselseitiger Einfluss entsteht:

Also bspw. eine Malerei, die ein Bild von der Erde zeigt, das ganz offensichtlich vom Mond aus aufgenommen wurde. Dieses Bild kann ja nur gemalt werden, weil davor eine Fotografie existiert hat, die tatsächlich vom Mond aus aufgenommen wurde. Das finde ich ein schönes Beispiel. 

Oder eine haptische Skulptur, die berechnet und von einem 3D-Drucker produziert wurde – ist das Endprodukt nun analog oder digital? Also allein diese Auseinandersetzung finde ich schon sehr spannend und deswegen fand ich auch das Postdigitale interessant. Wer kann heute denn noch behaupten, etwas produziert zu haben, ohne sich irgendeines digitalen Mediums beholfen zu haben? Ich glaube schon, dass v.a. auch eine junge Generation von Artists nachkommt, die dann sagen werden „Bitte was reden wir da immer von DIGITALER Kunst… *zuckt mit den Schultern* Egal!“ Also um es ein bisschen flapsig auszudrücken: 

Es geht nicht darum, dass das Digitale noch eine große Sensation wäre. Es IST einfach Fakt.

A: Das Postdigitale beschreibt also auch, dass man die Digitalisierung heute managen und mit ihr umgehen können muss, um so auch eine Kultur des Digitalen zu etablieren.

 E: Genauso ist es. 

A: Eva, du hast uns ja total beschenkt mit deinen schönen Antworten *grinst*, vielen Dank für das Gespräch!

E: Ja, danke auch dir! Es war wie immer spannend mit dir zu reden! 🙂

FEEDBACK

Was sind deine Überlegungen zu den besprochenen Themen?

Nimm gerne Kontakt mit mir aufIch freue mich  über einen Erfahrungsaustausch.

Das Gespräch fand am 6. 5. 2020 über Videocall statt. Der Text ist eine Zusammenfassung.

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Andreas Fraunberger

Andreas Fraunberger

Produzent für Extended Realities. Managing Partner bei Junge Römer. Doktor der Philosophie und Univerisitätslektor. Lieblingstänze: Afro-Haitian Dance, Tango, ChaChaCha, Contact Improvisation. Here are Andreas’ 13 Favorite Problems!
Andreas Fraunberger

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Produzent für Extended Realities. Managing Partner bei Junge Römer. Doktor der Philosophie und Univerisitätslektor. Lieblingstänze: Afro-Haitian Dance, Tango, ChaChaCha, Contact Improvisation. Here are Andreas’ 13 Favorite Problems!