Kunst und Künstlichkeit – Neues aus New York

Brownstones, water towers, trees, skyscrapers
Writers, prize fighters and Wall Street traders
We come together on the subway cars
Diversity unified, whoever you are

(Beastie Boys, An Open Letter to NYC)

Beastie

Boys

IMAGINE ALL THE PEOPLE

Stell dir vor: Du sitzt in einem schönen kleinen Park, in dem, so wie in jedem anderen Park im Umkreis etlicher Meilen, absolutes Rauchverbot herrscht. Das ist dir aber egal, denn eine Schachtel Tschick kostet hier umgerechnet ca. dreizehn Euro, also empfiehlt es sich, das Rauchen auf ein leistbares Minimum zu reduzieren. Auf der Parkbank nebenan hat eine junge Frau Platz genommen, die aussieht, als wäre sie einer Modezeitschrift entsprungen. Das ist nicht nur dir, sondern auch und vor allem ihr selbst aufgefallen, denn seit ungefähr zehn Minuten erklärt sie ihrem Gesprächspartner, wie zufrieden sie heute mit ihrem Outfit ist. Mit immer wieder neuen Worten und immer wieder der gleichen Aussage. Du kannst nicht anders, als ihr zuzuhören, denn sie spricht so laut wie alle anderen Einheimischen hier, um ungefähr 35 Dezibel lauter als der durchschnittliche Europäer. Das mag an den vielen unterschiedlichen Sirenen-Klängen liegen, die gemeinsam eine spannende Hintergrund-Kakophonie bilden. „Hm…“, denkst du dir und ziehst nicht an deiner Zigarette, weil du keine hast. Aber schön ist es hier, mindestens genauso schön wie laut. Vor dem Fernseher warst du schon gefühlte tausend Mal hier, aber jetzt erstmals „in echt“. Und es sieht wirklich alles so aus, wie es soll. Wo bist du? Richtig. In Manhattan.

In unserer letzten Reise-Story (nachzulesen hier) war von unserem Aufenthalt in Dallas die Rede. Diesmal geht es um den zweiten großen Part unserer USA-Reise, der uns aus der trockenen texanischen Hitze an die vergleichsweise „coole“ Ostküste, genauer gesagt nach New York City, führte.

FÜHLT SICH AN WIE VR

In New York zu sein hat sich für mich, zumindest zu Beginn, sehr schräg angefühlt. Wenn man schon einige Jahre als eifriger Medienkonsument auf dem Buckel hat, dann hat man schon so viel von dieser Stadt in etlichen Serien und Filmen gesehen und gehört (bzw. in Romanen und Geschichten darüber gelesen), dass es beinahe schon schwer fällt, sie als etwas anderes als eine Kulisse wahrzunehmen. Und so hatte auch ich anfangs meine Schwierigkeiten damit, zu akzeptieren, dass die Menschen um mich herum keine Schauspieler waren, dass die viel zu hohen Gebäude ringsum echte Wohnungen und echte Büros beinhalteten, und dass tatsächlich jedes zweite Auto ein echtes Yellow Cab war, das in einem echten Verkehrsstau steckte, sodass die Fahrgäste wirklich zu spät zu einem echten Termin kamen. „So stelle ich mir eine perfekte VR Experience vor“, dachte ich oft, zum Beispiel beim Flanieren entlang der Fifth Avenue, oder als wir von Brooklyn aus Manhattans Skyline bestaunten. „Dieses New York ist wirklich sehr überzeugend gemacht.“

Nach zwei, drei Tagen war dieser „Zauber“ allerdings dahin und der VR-Effekt hatte sich weitgehend eingestellt. New York hatte uns in Windeseile (auf eine gute Weise) assimiliert, uns sozusagen von seiner Echtheit überzeugt, und ehe wir uns versahen, lästerten wir über die M-Linie ab, die uns täglich von unseren Steifzügen durch Manhattan zurück zu unserem Refugium in Williamsburg beförderte, und die wir schließlich als „die U6 von New York“ identifizierten, als wäre es das Normalste der Welt. Es gelang uns, die eindrucksvollsten Straßenschluchten zu durchqueren, ohne dabei ständig mit offenen Mündern nach oben zu schauen, um die Wolkenkratzer zu begaffen, und wir holten uns Pizza Slices bei „Joe’s“, direkt in der Nachbarschaft, weil wir herausgefunden hatten, dass es auch in New York durchaus möglich ist, gutes Essen zu halbwegs normalen Preisen zu bekommen, wenn man nur bereit ist, es auf der Straße in sich hinein zu stopfen, so wie fast alle anderen Leute hier auch. So weit, so real.

SCHECKS AND THE CITY

Die Überschrift nimmt es schon vorweg: Ja, New York ist teuer. Wer hier richtig was sehen und erleben will, der muss seine Kreditkarte zum Glühen bringen. Es gibt aber eine Sache (arguably die beste Sache), die dort dankenswerterweise sehr günstig zu haben ist, und das ist nichts anderes als Kunst. So kostet der Eintritt ins Metropolitan Museum nur eine Handvoll Dollar und ermöglicht es einem, den ganzen Tag in einem wirklich unglaublich riesigen Museum zu verbringen, das mit etlichen (Sonder-)Ausstellungen sowie einer gigantischen Sammlung gigantischer Werke gigantischer MeisterInnen aufwarten kann. Hier hätten wir die ganze Woche verbringen können, ohne uns langweilen zu müssen und ohne je alles gesehen zu haben. Dann gibt es natürlich auch noch das Guggenheim Museum, das zu ähnlich günstigen Konditionen eine etwas kleinere, aber immer noch mächtige und vor allem inhaltlich überzeugende Sammlung bietet, die man unbedingt gesehen haben sollte.

Wer es mit der bildenden Kunst nicht so hat, der hat es vielleicht mit der Konsumgesellschaft, und der befindet sich in New York eigentlich immer am rechten Ort zur rechten Zeit. Unter den unzähligen Geschäften, die in Manhattan zum Shoppen einladen, findet man bspw. auf der Fifth Avenue den Nike Flagship Store, der ähnlich episch operiert wie die oben genannten Museen. Hier wird auf mehreren Floors der Markenkult und das Shoppen an sich auf eine höchst innovative, interaktive und fesselnde Weise zelebriert. Man muss dort einfach etwas kaufen, auch wenn man keine Sneakers haben will, und die Chance, dass der eine Schuh in genau dem einen Design, das einem dann doch gefällt, in genau der einen Größe, die einem perfekt passen würde, tatsächlich lagernd ist, statistisch gesehen gegen Null tendiert. Egal. Du bist durch die ein- und ausladenden Hallen der Konsumkirche gegangen, du hast die Kommunion erfahren, du hast natürlich etwas gekauft, irgendwas, bevor du überhaupt begreifen konntest, was hier mit dir und deinem Lustzentrum geschieht.

Wenn du dann den Planeten Nike wieder verlässt und hinaus ins Tageslicht trittst, blickst du plötzlich direkt in den Lauf eines Scharfschützengewehrs. Die ganze Straße wurde nämlich in der Zwischenzeit von Polizei und Army abgesperrt und „sicher“ gemacht, weil ein orangefarbener, wütender alter Mann, während du irgendwas gekauft hast, das du nicht brauchst, aber willst, den Wunsch verspürt hat, seinen dunklen Turm aufzusuchen, um von dort aus in aller Öffentlichkeit wieder einmal die freie Presse zu beleidigen. Und jetzt wird dieser Mann unter viel Getöse und in Begleitung von gefühlt einhundert gepanzerten Fahrzeugen dorthin geführt. Auch das gehört zum Alltag in Manhattan, genauso wie japanisches Barbecue, Light Beer, Francis Bacon, die „Affordable Art Fair“ (bildende Kunst unter 10.000 Dollar), die vielen Sehenswürdigkeiten (google it), Hot Dogs mit Sauerkraut (nie probiert, aber gibt’s an jeder Ecke), nikotinfreies Chillen im Central Park, fantastische Straßenmusiker, der nonstop laufende Propaganda-Newsticker an der Fassade des Fox News Gebäudes, eine Million Starbucks Filialen und herrlich überforderte Dog-Walker.

NO SLEEP TILL…

Zu guter Letzt, hier noch ein paar abschließende Wort über das Hipster-Mekka Brooklyn. Ist es wirklich so hip wie alle tun? Nun, wir haben uns fast ausschließlich in Williamsburg herumgetrieben und zumindest diesen Stadtteil können wir getrost als „ausgesprochen hip“ bezeichnen. Was einem definitiv auffällt, zumindest wenn man ansonsten 99,9 % seiner Zeit in der Wiener Innenstadt verbringt, ist, dass die Armut, die es hier gibt (laut Wikipedia gelten gut 55 % der Bewohner als arm, weitere 20 % als bedürftig), von den vielen Designer-Stores, Montessori Kindergärten, Craftbeer-Bars und Delis, die das Wort „organic“ in ihren Namen integriert haben (= alle), nicht vollständig kaschiert wird. Das wirkte auf mich schließlich so, als hätte jemand den siebten Bezirk enorm aufgeblasen und ihn über eine Szene aus „French Connection“ gestülpt. Das sorgt für ein einzigartiges Lebensgefühl – und das ist keineswegs zynisch gemeint. Es ist schlicht und ergreifend interessant, in Brooklyn spazieren zu gehen, wo das Leben auf eine ebenso vielfältige, wie irgendwie versöhnliche Weise pulsiert. Vor allem nachts, wo einem nicht langweilig dröhnende Auto-Sounds den Schlaf rauben, sondern das permanente Geschrei und Gelächter etlicher feiernder Menschen, die damit beschäftigt sind, ihr sehr lautes Leben durch die Nacht zu tragen.

Pictures by Philipp König

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Michael Lenzinger

Michael Lenzinger

Schreibt allerhand. Creative Director / Partner bei Junge Römer. Clowngitarrist bei You Should See the Other Guy
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